Montag, 28. Februar 2011

Egal Wohin


 Du möchtest weg. Du möchtest gehen. Egal wohin, einfach fort. Dahin, wo die Leute anders sind. Dahin wo die Welt anders aussieht, wo man anders spricht. Dahin, wo dich niemand kennt. Aber wohin? Reicht es, das Land zu verlassen? Oder muss man den Kontinent wechseln? Du weisst es nicht. Du weisst aber, dass du in ein Flugzeug steigen willst. Du bist frei. Du kannst das tun. Im ersten Moment erscheint dir der Gedanke genial. Einfach gehn. So muss man es machen. So und nicht anders. Du schaust dich in deinem Zimmer um und fragst dich, ob du etwas packen musst. Nein, du weisst ja nicht wohin du gehst. Das Beste wäre einfach zu gehen, ohne an etwas zu denken. Doch als du schon fast bei der Türe bist, merkst du, dass du eben doch nicht einfach so gehen kannst. Du bist jung. Du hast kein Geld. Du kannst nicht einfach gehen und dann mal schauen, wie du dich dort zu Recht findest. Man braucht Geld. Auch für eine Woche. Du kannst auch nicht einfach nicht zur die Schule gehen. Und vor allem kannst du nicht einfach gehen, ohne jemanden zu informieren.

Du sinkst in dein Bett. Und denkst. Was war da gerade mit dir los? Was ist dir da bloss durch den Kopf gegangen? Dir geht es doch gut. Du hast gar keinen Grund zu gehen. Du bist hier nicht gefangen. Und theoretisch hättest du auch gehen können. Wäre da nicht deine Vernunft dazwischen gekommen. Du warst schon immer so vernünftig und pflichtbewusst. Andere haben es leichter, die nicht so sind.

Jetzt wo du so da auf deinem Bett liegst und an die weisse Decke starrst, fragst du dich, warum du nicht einfach gegangen bist. Du kennst die Antwort, doch trotzdem ist die Frage  unbeantwortet. Du fragst dich, was geschehen wäre, wenn du gegangen wärst. Wärst du bis zum Flughafen und dann wieder zurück? Oder wärst du etwa wirklich in ein Flugzeug gestiegen? Wie hättest du es bezahlt? Wahrscheinlich mit deinen letzten Ersparnissen. Wohin hätte es dich geführt? Bestimmt irgendwohin in Europa, das bisschen Geld reicht nur für Europa. Wärst du an einen Ort gegangen, den du mit Erinnerungen verbindest? Oder wärst du an einen neuen Ort? An einen Ort, den du schon lange ein Mal besuchen wolltest? Oder noch verrückter: Wärst du an einen Ort gegangen, von dem du nichts weisst, von dem du noch nie etwas gehört hast? Du weisst es nicht. Wie auch?

Du hättest gehen können. Du bist frei. Du kannst tun und lassen, was du willst. Deine Eltern lassen dich. In die Schule musst du auch nicht. Du musst rein gar nichts! Du bist frei, so frei. Und doch fühlst du dich gefangen. Irgendwie gefangen.

Du weisst, dass du bald wieder fliegen darfst. Sehr bald sogar. In einer Woche wirst du mit deinem Freund im Flugzeug nach Stockholm sitzen. Doch das ist nicht dasselbe. Es ist geplant. Es ist alles so voraussehbar. Kein Abenteuer. Wenig kann noch schief gehen. Du hast schon viele Städte besucht. Und es war immer schön. Aber eben -  es war alles so geplant, so sicher. Kein Abenteuer.

Du gehst zur Schule wie jeden Tag. Du sitzt da statt im Flugzeug. Du sitzt da, bist aber trotzdem nicht anwesend. In deinen Gedanken sitzt du im Flugzeug. Alle fünf Minuten ändert sich die Destination. Einmal ist es Helsinki, dann London, New York, Rio. Du weißt: Die Destination ist nicht wichtig, nur eine Nebensache.

Im Flugzeug fühlst du dich wohl. Es sitzen Menschen aus aller Welt um dich herum. Verschiedene Sprachen werden gesprochen. Du schliesst die Augen und hörst zu. Du verstehst nichts und es tut gut. Du fühlst dich wohl. Du fühlst dich frei. Du bist ein Teil von all dem. Ein Teil der Welt. Es kommt der Moment, auf den du gewartet hast. Das Flugzeug hebt ab. Du fühlst dich frei. Festgeschnallt auf deinem Sitz. Zwischen Menschen. Und doch bist du gefangen.

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