Samstag, 31. Dezember 2011

Ein Anfang

Das Haus steht kräftig vor ihr. Die alten Steinmauern sehen aus, als könnten sie die grossartigsten Geschichten erzählen, wenn sie nur reden könnten. Die Fassade zeigt alle paar Zentimeter kleine Risse und Brüche auf. Das Haus wirkt verletzt. Doch keiner würde je an der Standhaftigkeit dieses ominösen Hauses zweifeln. Es hat Jahrzehnte, nein Jahrhunderte überlebt und wird wahrscheinlich noch lange die Landschaft von Süd-Schottland schmücken. Ida wagt es noch immer nicht den schweren Glockenzug zu ziehen und so das ganze Haus samt Bewohner auf sie aufmerksam zu machen. Nie hätte sie geglaubt, dass sie ihr nächstes Jahr in einem schlossähnlichen Gebäude verbringen würde, als man ihr vorgeschlagen hatte die Verwandten in Schottland zu besuchen. Hier kennt sie niemand und keiner kennt sie. Ein Abenteuer? Ida ist sich noch unschlüssig. Mit ihrem Koffer in der Hand und der Handtasche in der anderen steht sie da wie bestellt und nicht abgeholt. War es die richtige Entscheidung? Doch bevor ihre Gedanken in einer unendlichen Schlaufe von Unsicherheit versinken können, kommt ein grosses Geschöpf auf sie zu gerannt. Es bellt wie verrückt und springt Ida an. Zwei Augenblicke später öffnet sich das Portal. In der Türe steht eine blonde Frau, die verdutzt Ida mustert. Um die Stirnfalten dieser Frau verschwinden zu lassen beginnt Ida zu sprechen: „Hallo. Ich bin Ida, die Nichte von Frau Macleod. Ich hoffe, ich wurde angemeldet.“ Plötzlich erscheint ein Lächeln auf dem Gesicht der Blonden, doch die Falten bleiben. Sie beginnt zu sprechen: „Ida! Sie werden erwartet. Ich bin Jane, die Haushälterin. Ich werde Sie in den Saal führen. Lassen Sie Ihr Gepäck hier stehen. Dexter, mein Gatte, wird sie zu Ihnen ins Zimmer tragen. Und nun kommen Sie, bald wird gegessen.“ Ida folgt Jane durch die grossen und kalten Gänge. Sie versucht die Wände zu studieren und alles aufzunehmen, doch Jane rennt ihr fast davon.  Als sie im Salon ankommen, sitzt dort eine grosse Gruppe von Menschen: Menschen aus allen Altersgruppen, eine ganze Familie eben. Eine Frau mittleren Alters kommt auf sie zu und küsst sie auf die linke Wange. „Wie du gewachsen bist! Das letzte Mal als ich dich gesehen habe warst du ein Zwerg und konntest noch nicht "Papa" sagen. Und wie schön du geworden bist! Aber das ist ja kein Wunder bei solchen Prachtexemplar-Eltern. Seht alle her! Das ist Ida, ist sie nicht wunderschön?“ Ein lautes Gemurmel beginnt, doch beruhigt sich nach wenigen Sekunden. Stille. Die Frau, die zuvor gesprochen hatte, ihre Tante, nimmt Ida am Arm und führt sie durch die Runde. Zigmal schüttelt Ida die Hand von den fremden Gesichtern, die in dem Raum versammelt sind. Die Namen kann sie sich nicht alle merken. Sobald alle mit Ida vertraut gemacht worden sind werden die Herrschaften in den Esssaal gebeten. Im Esssaal ist es kühl. Ida wundert sich, wie das dann im Winter sein wird. Zuhause ist ihr warm im Sommer und kühl im Winter. Hier scheint das anders zu sein. Als sich Ida setzt, bemerkt sie, dass es draussen regnet. Die Dunkelheit von Draussen muss  in den grossen Saal gewandert sein. Die Lampe, die schief von der Decke hängt, bringt wenig Licht und die Kerzen auf dem Tisch vermögen nur wenig Wärme in den hohen Saal zu bringen. Beim Essen konzertiert sich Ida auf ihre Tischmanieren und studiert, wie edel die anderen am Tisch ihr Fleisch mit den stumpfen Messern in kleine, mundgerechte Stücke schneiden. Nur ein junger Mann fällt ihr auf, der nicht wohl erzogen scheint. Er schlingt sein Essen runter, ohne gross zu kauen und achtet nicht auf die Tischgespräche, die in seiner Nähe geführt werden. Er ist nicht besonders interessiert. Weder am Essen, noch an anderen Menschen. Er entschuldigt sich als erstes vom Tisch und verschwindet im dunklen Gang. 

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Das ist die erste Seite meiner Novembergeschichte, die durch das Novemberschreiben entstanden ist. Ich bin gerade am Umschreiben und falls Ihr Lust habt die ganze Geschichte zu lesen schreibt mir einfach und ich schicke Euch dann die Datei. Ich freue mich immer über Rückmeldungen! Feiert schön ins neue Jahr, cheerio!

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